Marie-Dominique Chenu (1895 – 1990) trat 1913 in den Orden der Dominikaner ein. Von 1920 bis 1942 war er Professor für mittelalterliche Theologie an der Hochschule der französischen Dominikaner Le Saulchoir. Im Jahr 1937 veröffentlichte er eine Studie, in der er sowohl das Studienprogramm von Le Saulchoir aufstellte, als auch seine Vision von Kirche und Theologie darlegte. Dieses Buch wurde 1942 von Papst Pius XII. wegen des Vorwurfs der Häresie auf den Index gesetzt. Im Jahr 1947 wurde Marie-Dominique Chenu Professor an der Sorbonne, wo er mittelalterliche Geschichte lehrte.
In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte Chenu die Bewegung der Arbeiterpriester, die versuchte, eine neue Form der Arbeiterseelsorge zu verwirklichen.
Als Mediävist vertrat Chenu ein theologisches Denken, das die Werke mittelalterlichen Theologen vor allem in einem historischen Kontext auslegt. „Die Zeichen der Zeit verstehen“ ist sein Motto: Kirche und Welt, Kirche und Geschichte gehören zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. So vertrat Chenu ein eher evolutionäres Konzept der Glaubenslehre.
Am Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) nahm Chenu als Berater der Bischöfe von Madagaskar teil, wo er und andere junge Theologen, wie sein ehemaliger Schüler Edward Schillebeeckx, großen Einfluss auf die Abfassung der Konstitutionen dieses Konzils, vor allem Gaudium et Spes, ausübten. In den Jahren nach dem Konzil konfrontierte Chenu seine theologischen Visionen mit dem Marxismus und der Befreiungstheologie. Dialog und kritische Reflexion sind weitere Merkmale seiner Theologie.
Die Dominikaner des philosophisch-theologischen Forschungszentrums unserer Ordensprovinz haben bei der Gründung des Instituts im Jahr 2000 bewusst Marie-Dominique Chenu als Namenspatron gewählt. Der außergewöhnliche Dominikanerpater ist für sie als Mensch, als Wissenschaftler und als Seelsorger Vorbild.